verrückt


Keine angst, ich hab jetzt nicht vor, hier irgendwelche Diagnosen aufzuzählen, da ich von Diagnosen allgemein es sehr wenig halte. Wieder einmal sinnloses Schubladendenken. Für Ärzte mag es ja zum reinen Informationsaustausch untereinander evtl. noch annähernd hilfreich sein... Aber mittlerweile ist es doch so, dass sich immer mehr Menschen über ihre Diagnosen identifizieren, sie ausleben, sich mit ihr entschuldigen, sie möglichst gut erfüllen wollen. Das erste Beispiel, was mir da einfällt lautet „Borderline“. Wer kennt diesen Begriff heutzutage denn nicht mehr.. und die ganzen tollen Identifikationsmöglichkeiten... „Bordi“, „BPS'ler“... die vorgeschobene Ausrede für einfach alles: „Ich wars nicht – das war Borderline!“, „Ich kann nichts dafür, ich bin Bordi“

Nun, klar habe ich auch psychische Probleme, falsch gelernte Denkmuster und antrainierte Überlebensmechanismen, die ich heute nicht mehr brauche, die mich zum Teil auch belasten.
Aber ich bin trotz allem noch ein Mensch!
Ich bin weder ein armes, handlungsunfähiges Opfer, noch eine wandelnde Diagnose.

Ich brauche teilweise Hilfe, um meinen Alltag zu bestehen, oft kämpfe ich, manchmal resigniere ich. Ich falle in depressive Löcher und kletter wieder aus ihnen hinaus. Ich schlafe unruhig, manchmal gar nicht und manchmal zu viel. Ich füge mir bewusst Verletzungen hinzu, habe weniger Hemmungen vor destruktiven Dingen und esse so, wie ich mich wohl fühle. Ich bin sehr impulsiv, emotional und Menschen erscheinen mir oft seltsam oder machen mir angst. Ich habe oft Kopfschmerzen, neige zum Suchtverhalten, habe Erinnerungslücken und Blackouts, viele verschiedene Persönlichkeitsanteile in mir, die mehr oder weniger ein Eigenleben entwickelt haben...
Außerdem erlebe ich viele schöne Momente täglich. Ich habe ein Leben, was ich mir immer gewünscht habe. Ich habe wenige, aber wundervolle Menschen um mich herum, eine wunderbare Hündin, zwei verrückte Katzen und den Willen, mein Leben zu leben. Ich habe etwas vorzuweisen, von dem andere Menschen nur träumen können. Ich habe geschafft, was andere nicht geschafft hätten. Überlebt, wo andere vielleicht resigniert hätten.
Ich habe Stärken und Schwächen, den Mut zur Selbstreflexion, stehe mit beiden Beinen mitten im Leben.
Ob ich verrückt bin?
Wahrscheinlich...

1 Kommentar:

  1. Danke danke danke, dass du es auch so "falsch" und unnötig findest, sich allein über seine (angebliche) Diagnose zu identifizieren.
    Ich war 2 Jahre am Stück in einer Klinik eingesperrt, die viele Patienten im Prinzip ermutigt hat, sich in solche Identitäten hereinzusteigern.

    Mit der Zeit habe ich, wenn auch "nur" Patientin, total viele Leute dabei "ertappt", wie sie versucht haben, sich ihre Wunschdiagnose anzueignen.
    Am Anfang fand ich es nur lächerlich, aber mittlerweile tun mir solche Leute einfach nur noch leid...


    Darf ich dich fragen, wie alt du bist?

    LG

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